Heimatliebe Opphowa - Mäandern im Zuhause

Vor aller Zuschreibung, aller Huldigung, vor allen Aneignungsversuchen ist die Heimat eine bestimmte Form von ästhetischer Erfahrung, die sich wohl überall auf der Welt ähnlich zuträgt: Wenn ich nachhause komme, beginne ich zu vergleichen: Was ist gleichgeblieben und was hat sich verändert? Das Heimatgefühl ist an den subjektiven Vollzug des Abgleichens gebunden. Damit einher gehen persönliche Gefühle: Freude, Belustigung, Glück, oder auch Unwohlsein und Traurigkeit.

Und je mehr sich verändert hat und je länger ich unterwegs war, oder je länger mir die Heimat vorenthalten wurde – so wie dem jüdischen Volk während der babylonischen Gefangenschaft – desto mehr wird die Heimat zum Sehnsuchtsort, zum Gedankenkonstrukt, speist sie sich aus den Erinnerungen, umwoben von Emotionen. Dinge, die bleiben, die sich kaum oder zumindest äußerlich betrachtet gar nicht verändert haben, so alltäglich sie auch sein mögen, geben uns Halt und Gewissheit über unsere Herkunft und damit von uns selbst.

Etwas, was sich nicht verändert hat, wie ein Geschäft im Einkaufszentrum, ist rar. Als Gradmesser für das Leben zu einer bestimmten Zeit schätzen wir es besonders. Mehr noch: Jemand, der den Zeiten trotzt, wie die „Reinigungskraft“ mit ihrem fast schon unverbesserlich antiquierten Laden, steht im Widerspruch zur rasanten gesellschaftlichen Entwicklung, die keinen Stein auf dem anderen lässt. Wir bestaunen diese kleine unverbrüchliche, gegen die Zukunft aufbegehrende Welt als unmöglich, weil sie der Zeit zu entkommen scheint, weil die Zeit in dieser Welt aufgehalten ist. Heimat ist Stillstand in der Zeit – für ungewisse Zeit. Beim nächsten Besuch ist der Mann von der Reinigung und mit ihm sein Laden verschwunden.          

Heimat ist ursprünglich an den Ort gebunden. Vorschriftliche orale Kulturen besitzen diese starke Verbindung zu ihrem Herkunftsort. Aborigines sind mit ihrer Heimat, der australischen Wildnis, in der sie groß geworden sind, wo sie leben, geradezu verschmolzen. Sie kennen jeden Baum, jeden Stein, stehen mit ihnen im ständigen Dialog als individuellen, lebendigen Wesen. Müssen sie ihre Heimat verlassen, werden sie orts- und orientierungslos. Ihr Lebensanker ist gekappt: das Aufgehen in ihrer natürlichen Mitwelt verunmöglicht.

Vielleicht ist dieses Verwachsen-Sein mit unserem Ursprungsort in uns allen ganz tief verwurzelt. Vor diesem Hintergrund kann man die Schwere des Schicksals von den 110 Millionen Flüchtenden, die wir heute zählen, das Ausmaß von Heimatlosigkeit in unserer Welt, nur erahnen…     

Oppau hat Geschichte. Der Ort wurde bereits im frühen Mittelalter 808 im Lorscher Codex anlässlich einer Schenkung an das Kloster Lorsch als „Oppowha“ erwähnt. Traurige Berühmtheit erlangte Oppau im 20. Jahrhundert: 1921 kam es zum „großen Knall“ als eine Explosion im Salpeterwerk der angrenzenden BASF das Dorf in Schutt und Asche legte. – Die Heimat als historischer Grund ist jedoch eher von Faszination als von tiefer Generationen-übergreifender Verwurzelung getragen.

Ludwigshafen ist eine junge Stadt, viele Häuser und Viertel sind erst in den letzten 70 Jahren entstanden. Die Namen der Orte sind von den Gegebenheiten hergenommen, verweisen auf das, was dort bislang war, wie „Pfingstweide“ oder „Froschlache“, Feuchtwiesen und Auen, die im Sog des Rheins Jahr für Jahr überflutet wurden und für die Landwirtschaft die längste Zeit nicht zugänglich waren. Meine Heimat steht in der Spannung zwischen Land und Stadt, zwischen ursprünglicher Natur und zivilisatorischer Umnutzung. Wo einst eine Weide war, auf die man zu Pfingsten Kühe und Schafe führte, stehen heute Hochhäuser und Bungalows, an denen Traktoren auf Äckern vorbeifahren.

Ich bin als Naturstädter großgeworden. Die Stadtnatur ist mein angestammtes Habitat. Vom Hochhaus sieht man die Berge der Hardt, die Weiher und Kiesgruben und unten vor der Haustür sind die Baggerseen zum Schwimmen da.          

Der Heimatfilm zeigte die Heimat als Heimat der Berge, Almwiesen und Täler, als Idylle des dörflichen Lebens. Wie die romantisierende Darstellung der Natur und des ländlichen Raums Flucht und Gegenbild zum 2. Weltkrieg darstellten, liegt meine Heimat in der zeitlosen Abkehr von allem Historischen begründet. Die nachkriegsmoderne Architektur bringt starke Formen hervor, die ihre neue Bedeutungshoheit auch durch physische Größe unter Beweis stellen. Bauten aus Stahlbeton treten durch formale Schönheit hervor, werden wie die Hochhäuser der „Froschlache“ und die Wohntürme der Neckaruferbebauung Nord „NUB“ zu Leuchttürmen der Suche nach einer neuen sozialen Heimat.       

Die Fotografie hat die Gabe, Objekte aus der Umgebung herauszuschälen und sichtbar zu machen. So wird das Haus an der Froschlache im Bild zum Modell. Die Qualitäten seiner starken Strukturen werden von der Patina des Alltags befreit und mit ihnen die Idee, die dahintersteht, die gesellschaftliche Utopie, nach der es gebaut wurde.

Heimat ist auch kitschig und komisch: ein Grasbüschel als Blumenstrauß, ein muskulöser im Studio trainierter Oberkörper als vermeintliches Resultat harter ländlicher Arbeit. Die Heranwachsenden in „Holzarbeit“, Grasstrauß“ und „Blütenzauber“ sind als Städter nur in die Landschaft hineingestellt. Sie konterkarieren klassische Rollen der alten Filme: die Magd, den Knecht, die Bürgerstochter.        

Neben Menschen und Gebäuden zeigt die Ausstellung auch Heimatobjekte: Eine Straßenlaterne reckt ihren schlanken Hals aus dem frischen Blattwerk des Frühlings. Die kleine urbane Romantik ist bedeutungsschwanger mit „Laternenhain“ betitelt. Die „Laterne“ ruft heimelige Erinnerungen hervor, wie an alte Gaslampen in den Metropolen des Fin de Siècle oder den Nachwächter, der in den Straßen flaniert und die Lichter löscht. Der „Hain“ hüllt den profanen Hügel spielerisch in ein sakrales Licht. Das Göttliche ist hier aber weniger zu finden. Was einzig erleuchtet, ist die Straßenlaterne. Ihr Licht weist den Weg in die Heimat, ins Einkaufszentrum.

Die Heimat, könnte man sagen, ist das Vaterland, der Raum, sind die Orte, Architekturen und Objekte. Was aber wäre die Heimat ohne die Muttersprache, die sozialen Beziehungen, die Freundinnen und Freunde, die Familienbande, ohne das Fluidum der Kommunikation? Die Muttersprache ist der angestammte Dialekt, der wiederkehrende Dialog, sie ist aber auch die Heimat des Lichts, der Gerüche und Farben. Der türkisfarbene fransige Saum der Tischdecke auf der Terrasse, der silberne Motorroller vor dem Hochhaus im Sonnenlicht. Die Mutter mit ihren blonden Haaren, ihre elegante Erscheinung, für ewig festgehalten auf Zelluloid, zu dem einem Punkt in der Zeit, der nicht mehr ist. – „Muttersprache“ ist ein Arrangement der privaten Momente, Auslöser für Erinnerungen und Emotionen.

All das macht die Fotografie. Die Fotografie ist eine Heimatmaschine, die Einzigartiges, Unvergleichliches schafft. Sie produziert Bilder als Stütze für das Gedächtnis, eine Galerie der Momente, die in der Summe die nachgefühlte Heimat eines ganzen Lebens bilden. Sie konserviert Menschen und Orte, die sich, verglichen mit heute, verändert haben oder ganz verschwunden sind. Ein unschätzbarer Wert für das Subjekt, wenngleich stumm und festgefroren.

Lebendig wird es, wenn wir unsere Nächsten persönlich treffen, Menschen, die einen durchs Leben begleiten. Dann vergleichen wir wieder mit Freude. Was ist gleichgeblieben, was hat sich verändert: die Frisur, die Figur, der Witz, der Humor, die Attitüden? So wie wir uns austauschen, Verständnis teilen, schaffen wir eine zweite Heimat über die Dauer der Zeit, unabhängig von unserer Herkunft. Die zweite Heimat ist unsere Muttererde, sie erdet uns sozial. Sie ist existentiell.

Heimat ist ein Spiel mit der Zeit, ist Verlebendigung der Zeit, wenn ich Vergangenes ins Gegenwärtige bringe. Wir lesen die Zeichen der Zeit im Jetzt, leben den Moment und sind glücklich.

 

         

 

         

 

Previous
Previous

China in my hands

Next
Next

Die Libelle als gestrandetes Flugsubjekt